#Tag 33
Irgendwie zieht sich die leicht depressive Stimmung noch immer. Ich habe viel über mich und mein soziales Verhalten nachgedacht. Meine Erklärungen klingen wie Ausreden. Von Außen betrachtet wirke ich unzuverlässig auf andere. Dabei bin ich sehr zuverlässig.
Ich kann schlecht nein sagen und möchte es am liebsten allen „recht“ machen. Aber warum? Warum kann ich nicht einfach klar und positioniert meine Meinung sagen?
Ich sage zu, obwohl ich genau weiß, dass es mir nicht gut tun würde. Mittlerweile achte ich auf mich und sage dann doch kurzfristig ab. Ich zögere das jedoch bis zur letzten Minute heraus.
Daran kann ich aber arbeiten.
Ich könnte, ich würde es überstehen, es wäre bestimmt auch ok. ABER ich will manchmal auch einfach nicht! Da höre ich mittlerweileauf mich, achte auf mich. Schütze mich und meine Genesung in dem Moment. Was meine Mitmenschen aber nicht ahnen:
Sie wissen nichts von meinem inneren Kampf mit dem Essen. Das jeder Bissen „zu viel“ sein kann. Das die „Bestie“ erwacht und ich die Kontrolle über das Essen verliere und der FA seinen lauf nimmt.
Um dem aus dem Weg zu gehen sage ich ab und bleibe in meiner sicheren Umgebung. Pflege meine frisches Leben ohne Bulimie. Meide Gefahren und mögliche absehbare Trigger. Ich denke nahezu jeder hätte Verständnis für meine Situation. Aber da sind wir wieder bei der Heimlichkeit und Scham. Es wissen ganz wenige von meiner Sucht und ich möchte vorerst auch nicht dass es mein ganzes Umfeld weiß. Beim Alkohol hätte ich weniger ein Problem das öffentlich anzusprechen. Ich bin auch der festen Überzeugung dass ganz viele einen kritischen Umgang mit dem Alkohol haben und gerne weniger konsumieren wollen würden. Ich bin so stolz darauf dem Alkohol ade’ gesagt zu haben. Von mir aus darf das jeder wissen.
Aber bei der Esssucht…. Sie ist so schambehaftet. Vielleicht weil es „unnormal“ ist so riesen mengen zu essen, sich nicht mehr bewegen zu können, sich zur Toilette zu schleppen und sich den Finger in den Hals zu stecken. Freiwillig zu kotzen. Und das immer wieder und wieder zu tun.
Was da noch alles im Verborgenen abläuft wissen „normale“ Menschen ja gar nicht. Wie auch?
Umso wichtiger dem endlich auch Raum zu geben und Tacheles zu reden. Diese Heimlichkeit zu brechen und ganz offen über die Sucht und alles was da noch mit dran hängt aus- und anzusprechen.
Gut, was die Menschen über mich denken muss ich hinnehmen. Ich weiß es ja auch nicht. Ich kann mir guten Gewissens in den Spiegel schauen, mich anlächeln und stolz auf meine neue Freiheit sein. Die ist mit um Welten wichtiger als 3 Stunden Smalltalk mit Menschen die ich nur oberflächlich kenne und uns eins verbindet. Und das ist unsere Arbeit.
„Ich bin stolz auf alles was ich bisher erreicht habe“